Nachstehen eine kleine Auswahl meiner Favoriten aus Belletristik, Poesie, Musik und Film, die zwar nicht angehörigenzentriert sind, die ich dennoch gerne für co-abhängig Betroffene einsetze, um ihre starren Erlebens- und Verhaltensmuster herauszufordern und mehr Selbstmitgefühl, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung anzuregen.
Glaubensbekenntnis, Bodo Rulf
Dieses Gedicht setze ich gerne ein, um das negative Selbstbild, die Selbstzweifel, Selbstablehnung und Schuldgefühle von Angehörigen zu verstören und eine annehmende Alternative anzubieten. Meine Lieblingsstelle lautet: "Ich glaube daß es wichtig ist zu mir zu halten und mich anzunehmen auch und gerade dann, wenn ich mich absolut nicht leiden kann." Herr Rulf hat mir erlaubt, Ihnen das Gedicht zur Verfügung zur stellen. Herzlichen Dank dafür!
» Glaubensbekenntnis
Ernaux, A. (2020). Die Scham. Berlin: Suhrkamp. (Die französische Orginalausgabe erschien 1997 unter dem Titel La honte bei Editions Gallimard, Paris.)
Vom Klappentext: "Scham ist das beharrliche Gefühl der eigenen Unwürdigkeit. Annie Ernaux seziert es an sich selbst, indem sie weit zurückschwingt in eine eigentlich unfassbare Episode ihrer Kindheit und in eine Vergangenheit, die nicht vergehen will." Ernaux analysiert wie die Scham über die Scham zu einem Gefängnis in uns selbst wird.
Die Lösung, Annett Louisan
Ein leichter, provokativ humorvoller Schlager über den sekundären Krankheitsgewinn, also darüber, warum Menschen an Problemen festhalten und nicht an Lösungen interessiert sind.
Aufhebung, Erich Fried
Ein wunderbares Gedicht darüber, dass Trost im Unglück Glück bedeutet.
Das Märchen von der traurigen Traurigkeit, Ingrid Wuthe
Eine kleine Erzählung über die Angst und Flucht der Menschen vor der Trauer und die eigentliche Funktion dieses zarten Gefühls.
» Märchen
Pavane pour une infante défunte, Maurice Ravel
Ravel soll das Stück auch "Pavane für eine verstorbene Prinzessin" genannt haben. Das Stück regt Trauer an, z.B. um Trost über eine unglückliche Kindheit zu finden oder auch Abschied von prinzessinnenhaften Idealen zu nehmen.
Eine Geschichte von Gott, Herman van Veen
Eine wunderbare Anektode darüber, wo wir "Gott" finden: Auf einer Bank in der Sonne in uns selbst, und eine Parabel auf das, worauf es im Leben eigentlich ankommt: Atmen, Licht, Blumen, Wasser, Sonne, Gelassenheit, den Augenblick genießen...
Momo, Michael Ende (1973)
Ein sprachlich wunderschönes und philosophisches (Kinder-)Buch darüber, dass Hetze, Produktivität, Ordnung und Konsum uns unglücklich machen und wir Erfüllung in Beziehung, Lachen, Spielen, Kreativität und Menschsein finden. Die "grauen Herren" verkörpern die unmenschlichen Prinzipien der Sucht. Die Protagonistin, das Mädchen Momo, ist durch und durch "unprinzessinnenhaft" und Vorbild für alle, die sich in Anpassung, Arbeitseifer und Pflichterfüllung verloren haben und ihr Leben zurückgewinnen wollen.
Camus, A. (2023). Der Mensch in der Revolte (35. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. (Die Originalausgabe erschien 1951 unter dem Titel "L´Homme révolté" bei Librairie Gallimard, Paris.)
Sucht und Co-Abhängigkeit können auch gemäß Camus als "Terror" oder "Tyrannei" verstanden werden. Das Buch des Nobelpreisträgers bietet eine Metaphysik der Verweigerung und Befreiung (S. 27): "Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlige und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst."
Filme
Und täglich grüßt das Murmeltier mit Bill Murray (1993)
Was kann man tun, wenn man feststellt, dass das Leben eine endlose Wiederholung desselben Musters ist? Die Filmkomödie gibt vielschichtige Antworten.
Grüne Tomaten, Jon Avnet (1991)
Es gibt viele Filme darüber, wie sich Frauen aus gesellschaftlichen Korsetts befreien. Dieser Spielfilm ist besonders ansprechend, weil die Protagonistin, Evelyn Couch (gespielt von Kathy Bates), eine normale, spießige, beleibte Hausfrau in den Wechseljahren ist, die es allen versucht recht zu machen, aber selbst immer zu kurz kommt. Eine feinfühlig erzählte und modellhafte Geschichte darüber, wie unterdrückte Frauen mithilfe von Mut, Humor, Hammer und Pfanne ihre Freiheit (gegenüber einem normierenden, bevormundenden, gewalttätigen und selbstsüchtigen Patriachat) erkämpfen und verteidigen.
Fremder Feind (Alternativtitel: Krieg), Rick Ostermann (2017)
Das Filmdrama empfehle ich manchmal, wenn bei Angehörigen die Situation sehr zugespitzt ist und es darum geht, den Selbsterhalt und das eigene Leben vor dem zerstörerischen Sog der Sucht zu retten. Der Protagonist Arnold, facettenreich von Ulrich Matthes gespielt, verliert fast alles, was in seinem Leben wertvoll ist, auch weil er es aus pazifistischen Idealen ablehnt, sich zu wehren. Schicksalsergeben bis über jede Schmerzgrenze hinweg nimmt er alles hin. Erst als es um seine nackte Existenz gegen einen unsichtbaren Feind geht, beendet er sein gewohnheitsmäßiges Zaudern und beginnt, zu kämpfen.