Süchtige klagen laut, Angehörige leiden still.

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Aktuelles

Folgend finden Sie aktuelle Informationen und Kommentare zur Angehörigenthematik der Sucht, z.B. zu neuen Angeboten, gesundheitspolitischen Ereignissen, Buchveröffentlichungen und zu Aktivitäten des Autors.

Ältere Beiträge können Sie hier einsehen: » Archiv.

2024-04 | NACOA | Fotoausstellung

fotoausstellung

Der Fotograf Hauke Dressler und der Journalist Stephan Kosch haben die Fotowanderausstellung "Gesicht zeigen!" erstellt. Das Projekt wurde durch die KKH Kaufmännsche Krankenkasse gefördert. Im Fokus von Fotos und Texten steht die Resilienz von erwachsenen Kinder aus Suchtfamilien. Aus der Beschreibung der Ausstellung von der Website von NACOA Deutschland:

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zehn unterschiedliche erwachsene Menschen, darunter eine junge Tänzerin, ein Priester, ein stolzer weiblicher Fußballfan, eine FASD-Betroffene, ein prominenter Sänger, ein diverser TV-Moderator. Dazu weitere Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. Sie teilen eine gemeinsame Erfahrung: eine Kindheit im Schatten der elterlichen Sucht. Das bedeutet in vielen Fällen Vernachlässigung, Überforderung, Übergriffe, manchmal auch Gewalt. Für Kinder aus suchtbelasteten Familien geht es ständig um Leben und Tod. Doch diese zehn Menschen haben nicht nur überlebt, sondern sind zu beeindruckenden Persönlichkeiten geworden. Was hat sie stark gemacht?

Dieser Frage geht die Ausstellung auf 24 Roll-Ups nach und zeigt die unterschiedlichen Antworten: Tanz, Musik und Malerei als Möglichkeit, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken; die biographische Arbeit als reflektierender Rückblick in das eigene Leben; Religion und Spiritualität als Kraftquelle; eine tragende Gemeinschaft im Sport oder in einer der wenigen Gruppen für betroffene Kinder und Jugendliche; die Geborgenheit einer Ersatzfamilie; die Liebe zu sich selbst.

Die Ausstellung kann gegen eine Schutzgebühr ausgeliehen werden.

» Ausstellung Gesicht zeigen!

2024-03 | Rezension | Die Asche meiner Mutter

McCourt, F. (1996). Die Asche meiner Mutter. Irische Erinnerungen. München: btb.

Natürlich hatte ich eine unglückliche Kindheit; eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum. Schlimmer als die normale unglückliche Kindheit ist die unglückliche irische Kindheit, und noch schlimmer ist die unglückliche irische katholische Kindheit.

Frank McCourt ist ein amerikanischer Schriftsteller irischer Abstammung, wurde 1930 in New York geboren und starb dort 2009. In dem autobiografischen Roman Die Asche meiner Mutter, den er nach seiner Pensionierung als Lehrer schrieb, verarbeitete er die schlimmen Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend, die er in bitterer Armut in Limerick in Irland verbrachte. Der Vater war alkoholkrank, war überwiegend arbeitslos, verlor Jobs alkoholbedingt schon wenigen Tagen und vertrank das wenige Geld, welches die Familie hatte.

Frank und die Geschwister wuchsen im Dreck, ohne Heizung und mit ständigem Hunger auf. Sie bettelten, prügelten sich, wurden geprügelt, sammelten Abfälle von der Straße und klauten, um nicht zu erfrieren oder zu verhungern. Drei der sieben Geschwister starben noch als Kleinkinder und auch Frank überlebte nur mit knapper Not eine Typhus-Erkrankung. Als Jugendlicher arbeitete Frank als Telegramm-Junge und sparte heimlich das notwendige Geld, um sich eine Schiffsfahrt zurück nach New York zu leisten.

Frank McCourt erzählt unprätentiös die Geschehnisse seiner Kindheit, ohne zu bewerten, zu moralisieren oder zu analysieren. Auch beschönigt und dramatisiert er nicht. Die Geschichte ist nichts für schwache Nerven, da er die schmutzigen, kaputten und bitteren Lebenszusammenhänge schonungslos bis ins Detail beschreibt. Eine Note am Rande: Zwar findet ein Teil der Geschichte, neunte bis 14. Lebensjah, auf dem Hintergrund des zweiten Weltkriegs statt, doch ist dieser aufgrund des Überlebenskampfes der Familie nur eine Nebensächlichkeit.

Mir hat gut gefallen, dass McCourt in einem restringierten Code schreibt. Die Sprache passt sich authentisch dem Denken und der naiven Sichtweise des Kindes und Jugendlichen an. Das Buch baut seinen Spannungsbogen aus dem Kontrast zwischen äußerer Armut und dem Reichtum des Erlebens des kindlichen Ich-Erzählers auf. Ich bin viel zu behütet aufgewachsen, um dem Buch sprachlich gerecht werden zu können, deswegen lassen wir Frank abschließend zu Wort kommen:

Sie ist mit dem Baby im Bett. Malachy und Michael schlafen oben in Italien. Ich weiß, ich brauche Mam gar nichts zu sagen, denn bald, wenn die Kneipen schießen, wird er singend nach Hause kommen und uns einen Penny anbieten, wenn wir für Irland sterben, und von jetzt an wird es anders sein, denn es ist schon schlimm genug, wenn ein Mann das Stempelgeld oder den Lohn vertrinkt, aber ein Mann, der das Geld für ein neues Baby vertrinkt, der ist tiefer gesunken als tief, wie meine Mutter sagen würde.

» Wikipedia

2024-02 | COA-Aktionswoche | Lesung mit Musik

bild schickentanz & türk

Vom 18. bis 24.02.2024 findet in Deutschland und anderen Ländern die alljährliche Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien statt. Von der Website der COA-Aktionswoche:

Kinder aus suchtbelasteten Familien sollen gehört und gesehen werden. Mit der COA-Aktionswoche rücken wir Kinder aus suchtbelasteten Familien eine Woche lang in den Fokus der Öffentlichkeit und der Medien, damit deutlich wird: Mehr als 2,6 Millionen Kinder in Deutschland leiden unter Suchtproblemen ihrer Eltern. Wir, das ist zum einen der Verein NACOA Deutschland, der die COA-Aktionswoche bundesweit organisiert – aber natürlich auch alle Mitmachenden, wie Vereine, Initiativen, Organisationen, Anlaufpunkte, COA-Hilfsangebote, Selbsthilfegruppen u. v. m.

Während der COA-Aktionswoche – immer im Februar:

  • sensibilisieren wir Menschen, die mit Kindern arbeiten (Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sporttrainer*innen, Jugendgruppenleiter*innen, Ärzt*innen...), Kinder aus suchtbelasteten Familien zu erkennen.

  • stellen Projekte und Initiativen mit Aktionen und Veranstaltungen ihre Arbeit vor.

  • machen wir Hilfsangebote öffentlich.

  • fordern wir politisch Verantwortliche von Gemeinden bis in den Bund auf, sich für mehr Unterstützungsangebote für COAs einzusetzen und diese Hilfen langfristig zu finanzieren.

Die COA-Aktionswoche gibt es seit 2011 in Deutschland und in den USA. Außerdem findet sie z.B. regelmäßig auch in Großbritannien, der Schweiz, in Korea oder Slowenien statt.

Wir haben uns als Kooperationbündnis an der Aktionswoche beteiligt: die Fachstelle Sucht des Diakonischen Werkes Herford, die Psychotherapiepraxis J. Flassbeck und die 2023 neu gegründete Selbsthilfegruppe, "LEBEN! lernen", für eKS in Bielefeld. Am Freitagabend, 23.02., haben wir im "Lutherhaus" in Herford eine Lesung mit Musik veranstaltet. Der große Saal wurde federführend von Anja Schoop von der Fachstelle Sucht festlich geschmückt und war von gewiss 40 Altarkerzen in mildes Licht getaucht. Das Event wurde von drei Betroffenen aus der Selbsthilfegruppe anmoderiert.

Annabelle Schickentanz las fünf Kapitel aus ihrem philosophischen, autofiktionalen Roman "Jenseits der Wand" über eine Kindheit in einer Suchtfamilie vor. Die Texte erzählten vom vielschichtigen Erleben einer Betroffenen hinter der dissoziativen Wand von Beschämung, Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Die Schilderungen waren angereichert durch metaphysische Überlegungen zu den destruktiven Mechanismen der familiären Verstrickungen und trösteten mit hintergründigem Verständnis und auch Humor. Die Musikerin Lisa Türk improvisierte in den Kapitelpausen zu den Texten am Schlagzeug. Ihre rhythmische Umsetzung z.B. der allgegenwärtigen, alles betäubenden Schamgefühle der Protagonistin des Romans gingen unter die Haut. Dazu eine Kostprobe aus dem Manuskript:

Die empfundene Scham des Alkoholikers ist eine der Ursachen für die Sucht, ganz sicher ist sie eine Folge. Das Schweigen meiner Mutter, es war gleichgültig, beschämt und in der Folge beschämend. Meine Scham ist die Scham über eine Mutter, die getrunken hat. Die so viel und über einen so langen Zeitraum getrunken hat, dass sie daran gestorben ist. Meine Mutter hat mich mit meiner eigenen Scham zurückgelassen, sodass ich nun wählen kann, ob ich schweige oder spreche.

Da das Manuskript noch im Werden befindlich und unveröffentlicht ist, wohnte das Publikum einer echten Premiere bei. In Anbetracht der experimentellen Situation - Frau Schickentanz hatte noch nie zuvor öffentlich vorgelesen, Frau Türk kannte die Texte nicht -, war ich als Veranstalter über die Qualität, den Tiefgang und die Souveränität des künstlerischen Zusammenspiels beeindruckt. In der Pause und nach der Veranstaltung habe ich Meinungen aus dem Publikum gesammelt, in denen mein positiver Eindruck voll und ganz bestätigt wurde. Ich wünsche, dass die beiden weitere gemeinsame Auftritte haben, und freue mich auf den Tag, wenn ich das gedruckte Buch von Schickentanz in der Hand halte, es in Gänze lesen und für Sie hier auf Co-ABHAENGIG.de rezensieren darf.

Zu den Veranstaltern: Die Fachstelle Sucht des Diakonischen Werkes Herford bietet Beratung für betroffene Kinder und erwachsene Angehörige an und ist nach FitKids zertifiziert. Als Psychotherapeut biete ich schwerpunktmäßig Psychotherapie für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien und andere betroffene Angehörige nach Flassbeck & Barth (2020) an. Zwischen der Herforder Angehörigenberatung und mir besteht seit langem eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Sache. In der Selbsthilfegruppe "LEBEN! lernen" treffen sich erwachsene Kinder aus Suchtfamilien, welche in unserer Praxis in Therapie sind oder waren, um ihr traumatisches Alleinsein zu überwinden und sich gegenseitig zu unterstützen, das eigene Leben unabhängig zu gestalten.

» Flyer zur Lesung
» Website COA-Aktionswoche

2024-02 | Rezension | Schloss aus Glass

Walls, J. (2005). Schloss aus Glas. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Schon länger wollte ich den Roman Schloss aus Glass von Jeanette Walls lesen und den auf dem Buch basierenden Film schauen. Das vorweg: Buch und Film hielten, was sie versprachen. In der folgenden Rezension konzentriere ich mich auf das Buch. Eine zusätzliche Einschätzung zum Film finden Sie auf der Seite Medien in der Rubrik Spielfilme. Zum biografischen Hintergrund von Film und Buch auf Wikipedia:

Der Film basiert auf dem autobiografischen Roman Schloss aus Glas (Originaltitel The Glass Castle: A Memoir) von Jeannette Walls aus dem Jahr 2005, ... Walls beschreibt in Schloss aus Glas ihre schwere Kindheit und wie ihre Eltern mit vier Kindern durch die USA vagabundierten. In den ersten fünf Jahren ihrer Ehe hatten ihre Eltern 27 Adressen, da ihr Vater es an keinem Arbeitsplatz länger aushielt und kein Geld für die Miete hatte. Zudem fühlte sich der alkoholkranke und wahrscheinlich bipolare Rex vom FBI verfolgt. Rose Mary, ihre Mutter, war wahrscheinlich auch bipolar und hielt sich für eine Künstlerin.

Die Kinder mussten oft hungern, in zerschlissener Kleidung herumlaufen und wurden daher in den verschiedenen Schulen, die sie besuchten, von ihren Mitschülern gehänselt. Als die Familie in den Heimatort des Vaters Welch in den Appalachen zurückkehrte, lebten sie bei Verwandten in einem Haus mit drei Zimmern ohne Wasser, Strom und Heizung, wo es feucht und schmutzig war und von Ungeziefer, Schlangen und Ratten wimmelte. Da Jeannette dies nicht mehr aushielt, schlug sie sich im Alter von 17 Jahren bis nach New York durch, wo sie in der Bronx bei ihrer älteren Schwester Lori wohnte. Dort machte sie ihren Schulabschluss, lieh sich von allen möglichen Leuten Geld und arbeitete in einer Anwaltskanzlei, um sich das Studium auf dem New Yorker Barnard College zu finanzieren.

Die Geschichte von Schloss aus Glas gewinnt ihre Dramatik aus der vielschichtigen Ambivalenz einer Suchtfamilie. Die amerikanische Journalistin Jeanette Walls erzählt die Ereignisse ihrer Kindheit, ohne sittliche Maßstäbe anzulegen. Sie beschreibt - typisch Journalistin - aus einer eher äußeren Perspektive, ohne zu verurteilen oder zu idealisieren. Dem Leser hilft diese nüchterne Erzählweise, Abstand zu wahren und sich weder mit der Liebe, den Abenteuern und der Faszination des Vagabunden-Lebens der Walls noch mit den Entbehrungen, Erniedrigungen und Leiden der Kinder allzu sehr zu identifizieren.

Mal schlägt das Pendel in die eine Richtung aus: "Reiche Stadtmenschen hatten schicke Wohnungen, aber ihre Luft war so verschmutzt, dass sie die Sterne nicht einmal sehen konnten, und wir wären ja schön verrückt, wenn wir mit ihnen tauschen wollten", mal in die andere Richtung: "Und mit erhobener Stimme fügte ich hinzu: »Ich hatte Hunger.« Mom starrte mich erschrocken an. Ich hatte gegen eine unserer stillschweigenden Regeln verstoßen: Es wurde von uns erwartet, dass wir stets so taten, als wäre unser Leben ein einziges langes, unglaublich lustiges Abenteuer."

Walls schafft es bis zum Ende, diese Ambivalenz feinfühlig auszubalancieren. Dieser Herangehensweise ist geschuldet, dass sie selten eine Innenperspektive des kindlichen Erlebens einnimmt. Der Hunger, der Ekel und die Schmerzen der Protagonistin Jeanette werden zwar benannt, doch werden sie mit wenigen Ausnahmen nicht näher ausgeführt, anders als z.B. in dem autobiografischen Roman Shuggie Bain. Diese sachliche Erlebensverzerrung ist typisch für traumatisierte Kinder aus Suchtfamilien, es ist eine funktionale Überlebensstrategie. Walls bleibt als Lieblingstochter so gegenüber Vater und Mutter loyal, sie schützt sich und ihre Familie vor moralischer Vereinnahmung durch andere und ihre Geschichte ist dadurch zugänglicher, lesbarer als die von Shuggie Bain.

Bei letzterer Autobiografie zersetzen die Auswirkungen des Suchtmittelkonsums die Familienbande und Shuggie, wie auch die älteren Geschwister zuvor, befreit sich, indem er weggeht. Bei Schloss aus Glass wird der Familienzusammenhalt hingegen durch die suchtbedingten Katastrophen noch gestärkt und die Protagonistin findet zu sich, indem sie in den Schoß der Familie zurückkehrt und zu dieser und der gemeinsamen Geschichte steht.

Obendrein nimmt Walls durch ihre Nüchternheit den mannigfaltigen Traumata den Schrecken, überfordert die LeserInnen nicht emotional und macht das Thema der Suchtfamilie einem breiterem Publikum zugänglich. Schloss aus Glass konnte so ein Bestseller werden. Zwar haben der Vater und die Mutter auf fast schon sympathische Art und Weise darin versagt, ihre grandiosen beruflichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Ansprüche und Versprechungen zu verwirklichen, doch die Tochter macht es besser und gibt der familiären Geschichte eine unverhoffte, erfolgreiche Wendung. Sie versilbert, so kann man es metaphorisch sagen, das Scheitern des Vaters, Gold zu finden.

Im Film wirft die erwachsene Jeanette dem Vater am Ende vor: "Reden ist nicht gleich Handeln." Die Autorin Jeanette Walls scheint diesen tragischen Zwiespalt ihrer Eltern im und durch das Schreiben überwunden zu haben. Es ist eine resiliente Geschichte.

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2024-01 | Sonntagszeitung FAZ | Artikel

Vor einigen Wochen hatte ich ein Interview mit der Journalistin Alexandra Dehe von der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zur Angehörigenproblematik der Sucht. Schon im Interview war ich positiv überrascht, dass Frau Dehe die in meinen Augen richtigen Fragen stellt. Ihr Artikel unter dem Titel "Hör auf!" ist am 14.01. veröffentlicht worden. Die appellhafte Überschrift ist doppeldeutig, weil er sich gleichermaßen auf das dysfunktionale, abhängige Handeln von Suchtkranken und Angehörigen bezieht.

Von der Qualität des Artikels bin ich sehr angetan. Anhand von zwei typischen Fällen durchdringt Frau Dehe die partnerschaftlichen Auswirkungen der Sucht, die Probleme und Not der Angehörigen sowie das tragische Aufeinanderbezogensein von Sucht und Co-Abhängigkeit. In der Kürze des Textes bringt sie die Betroffenheit und den Unterstützungsbedarf der Angehörigen auf den Punkt. Eine Kostprobe aus dem lesenswerten Text:

Er glaubte, als Ehemann versagt zu haben. Obwohl seine Frau keine Rückfälle hatte, ging es ihm noch schlechter als in den Jahren zuvor. Hinzu kamen Symptome wie Schlaflosigkeit, ständige Schweißausbrüche und Panikattacken. „Da wusste ich, dass es so nicht weiterging, und habe eine Therapie angefangen“, sagt Thomas. Bis dahin dachte er, sich Hilfe zu suchen sei Ausdruck von Schwäche – heute ist er davon überzeugt, dass es ein Zeichen von Stärke ist.

Bedauerlicherweise benötigen Sie ein ABO der FAZ, um den Artikel zu lesen. Falls Sie dennoch hineinschauen wollen: Ein dreiwöchiges Probe-ABO ist kostenfrei. Doch vergessen Sie nicht, es zu kündigen!

» Artikel

2024-01 | Memorandum DHS | Stellungnahme

Mein Anspruch für Co-ABHAENGIG.de ist, möglichst positive, angehörigenzentrierte Inhalte zu liefern. Doch das Anliegen ist auch, kritisch aufzuklären. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hat im letzten Newsletter (5.2023) informiert, ihr Memorandum "Angehörige in der Suchtselbsthilfe" nach zehn Jahren erneuert zu haben. Der selbsterklärte Anspruch ist, die Diskussion anzuregen.

Der Text ist meines Erachtens weder erneuert noch liefert er diskussionswürdige, angehörigenzentrierte Erkenntnisse. In dem Memorandum schafft es die DHS, nahezu die gesamte Literatur, fast alle fundierten Modelle und Konzepte und die vollständige empirische Datenlage auszublenden. Dies überrascht vor allem vor dem Hintergrund, weil die Materialien der DHS in Bezug auf Suchtmittel, Suchtkonsum und Abhängigkeitserkrankungen stets auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand sind.

Eigentlich wollte ich mich zu dieser defizitären "Leistung" nicht äußern, weil kein Ansatzpunkt da ist, konstruktiv Kritik zu üben. Doch dann hat es mir trotzdem in den Fingern gejuckt und ich habe eine Stellungnahme geschrieben. Mein Motiv dabei war weniger, Kritik zu üben, als vielmehr einen Kontrapunkt zu setzen und genau das tun, was die DHS nicht tut, nämlich die Literatur, die Konzepte, die Empirie und vor allem die AutorInnen, die sich in der Angehörigensache verdient gemacht haben, zu benennen und so zu würdigen. Aber bitte lesen und urteilen Sie selbst!

Die Stellungnahme habe ich der DHS zugesendet.

» Stellungnahme Flassbeck
» Memorandum DHS

2023-12 | Weiße Weihnacht

Als Psychotherapeut ist die Zeit um Weihnachten stets schwierig. Bei KlientInnen, die aus kaputten Elternhäuser kommen, z.B. weil die Eltern tranken, kommen die Erinnerungen an eine unglückliche Vergangenheit hoch. Und für KlientInnen, die mitten drin stecken, weil eine nahestehende Person suchtkrank ist, ist die Zeit emotional vergiftet, weil sie den widerlichen Auswirkungen der Sucht ausgesetzt sind und weil sie mit ihrer Sehnsucht konfrontiert sind, wie schön die Festtage sein könnten, wenn die Sucht nicht wäre.

Schauen Sie sich bitte die Weihnachtsgeschichte an! Es ist eine Erzählung, in der Not, Leid und Freude vorkommen. In diesem Sinne bedeutet Feiern, sich zu besinnen und sich sowohl über Wunder Leben zu freuen als auch über das Leid, welches Leben mit sich bringt, zu trauern. Die Kerzen, die wir im Dunkeln anzünden, symbolisieren beides. Feiern ist, zu staunen, zu lachen und auch zu weinen.

"Alle Kinder haben ein Recht auf Weiße Weihnacht." Unter diesem Motto nehme ich seit Jahren an der Kampagne Weiße Weihnacht teil und verzichte in trauriger Solidarität mit den Kindern aus Suchtfamilien über die Feiertage auf Alkohol. Unberauscht singt es sich viel schöner am Weihnachtsbaum. Und weil das Feiern mit nüchternem Kopf mehr Spaß macht, dehne ich die Aktion ebenfalls auf Silvester aus. Ein heißer Kinderpunsch zum Jahreswechsel schmeckt und wärmt wunderbar und das Feuerwerk kann man mit nüchternen Augen viel klarer genießen.

Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Advent, schöne Festtage und einen gelingen Jahreswechsel!

Hinweis: Das Bild zu diesem Artikel stammt von Stefanie Moshammer, einer Schweizer Künstlerin. Sie hat zum Thema Alkoholismus von Frauen, die gesellschaftlichen Stereotype von Suchtmittel und Frau, aber auch zu der familiären Betroffenheit eine Ausstellung gemacht: "Each Poison a Pillow". Auf der Website der Künstlerin können Sie Fotos dazu einsehen.

» Website Weiße Weihnacht
» Webste Stefanie Moshammer

2023-12 | Roman | Rezension

Wahl, C. (2023). 22 Bahnen. Köln: DuMont.

Zur Geschichte aus der Zusammenfassung auf der Website des Verlags:

Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor taucht auf, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.

Nach ca. ein Drittel des Buches wollte ich nicht mehr weiter lesen. Es war mir alles zu schön, um wahr zu sein. Die Protagonisten der Geschichte sind mir zu intelligent, zu mutig und zu lebenserfahren, es entspricht nicht ihrem Alter. Trotz der widrigen Umstände machen sie stets alles richtig und sagen immer das Richtige. Das war mir zu glatt und es fehlte mir der Tiefgang, wie ihn andere Romane zum Thema haben, z.B. "Shuggie Bain" oder "Streulicht". Dann hat mich das Buch doch noch gefesselt. Warum?

Tilda und Ina repräsentieren die resiliente Gruppe an Kindern aus Suchtfamilien (40%), die unbeschadet ins Leben gehen. Tilda und Ina sind Modelle dafür, wie man den widrigen Verhältnissen einer Suchtfamilie trotzen kann, was man sagen kann, wenn die suchtkranke Mutter lügt und manipuliert, und wie man sich trotz allem treu bleiben, Unabhängigkeit wahren und den eigenen Weg gehen kann. Und die Liebesgeschichte zwischen Tilda und Viktor ist eine Blaupause dafür, wie zwischenmenschliche Annäherung, Vertrauen und Liebe möglich sind, ohne die eigene Unabhängigkeit aufzugeben.

"22 Bahnen" ist ein eher leichtes, trotziges und fast schon fröhliches Buch. Caroline Wahl schafft es, eine heitere und tröstende Geschichte über die Unbilden des Daseins zu erzählen, ohne kitschig zu werden. Für mich als Psychotherapeut liegt der besondere Wert des Werkes in seinem resilienten Charakter. Deswegen werde ich es in der Therapie nutzen und es Betroffenen empfehlen. Ich möchte mit einem wunderbaren Zitat aus dem Buch von S. 105 und 106 schließen, welches mir aus der Seele spricht:

Die Gewissheit, dass ich vieles verlieren kann, einen Vater, eine Mutter, eine normale Kindheit, dass nichts sicher und beständig ist, dass aber Bücher trotz allem bleiben, dass mir niemand diese Geschichten, diese Welten wegnehmen kann, in die ich zu flüchten vermag, beruhigt mich und macht mich unverwundbar.

» 22 Bahnen auf Website DuMont

2023-11 | Allison Russel | Album

Allison Russell (2021). Outside Child. Chicago: Fantasy Records.

Ein erwachsenes Kind aus einer Suchtfamilie hat mir das Album "Outside Child" von Allison Russell empfohlen. Und weil man es nicht trefflicher formulieren kann, zitiere ich den Eintrag zum Album auf Wikipedia:

Outside Child is the debut album by Canadian singer-songwriter, poet, activist and multi-instrumentalist Allison Russell. Produced by Dan Knobler and released by Fantasy Records on May 21, 2021, it is Russell's first release as a solo artist following two decades of performing and releasing music as a member of the groups Po' Girl, Birds of Chicago and Our Native Daughters. Lyrically, the album details Russell's experiences with the abuse she endured as a child at the hands of her stepfather, with The New York Times describing it as “a harrowing story of survivor's joy” and Russell herself stating that “the record itself isn't really about abuse. It's about the journey out of that, and breaking those cycles. It is about resilience, survival, transcendence, the redemptive power of art, community, connection, and chosen family”.

» Outside child auf Wikipedia
» Nightflyer auf Youtube

2023-10 | Co-ABHAENGIG.de | Neue Seite

Neue Seite Raus aus der Falle

Im September habe ich einen Workshop gegeben. Eingeladen hatte mich der Bundesverband der Elternkreise suchtgefährdeter und suchtkranker Söhne & Töchter e.V. (BVEK). Der eintägige Workshop fand im Rahmen der Herbsttagung des BVEK statt, welcher dieses Jahr das 50. Jubiläum feierte. Der Titel lautete: Gefangen in Verantwortung und Hilflosigkeit - lebenslänglich? Es waren über 80 Eltern aus ganz Deutschland gekommen, die überwiegend bewährte ModeratorInnen von Elternkreisen waren. Wir hatten einen lebendigen Tag und ich bin beeindruckt von der Offenheit, Erfahrung und Kompetenz der TeilnehmerInnen nach Hause gefahren.

Vier Wochen später habe ich noch einen eintägigen Workshop gegeben, diesmal veranstaltet von der Baden-Württembergischen Landesvereinigung der ElternSelbsthilfe Suchtgefährdeter und Suchtkranker e.V. Dieser Workshop war zwar etwas kleiner, doch intensiv und ebenso lehrreich. Bereichert von den vielfältigen Begegnungen und Einsichten, habe ich für Co-ABHAENGIG.de eine neue Seite entwickelt und programmiert: Raus aus der Falle. Es werden neun co-abhängige Fallen bzw. Schemata dargestellt und Anregungen gegeben, diese abzumildern. Aber schauen Sie bitte selbst!

» Neue Seite Raus aus der Falle
» Bundesverband Elternkreise
» ElternSelbsthilfe Baden-Württemberg

2023-10 | Film | Rezension

Ich komme gerade aus dem Kino: "Fallende Blätter" von Aki Kaurismäki. Es ist ein typischer, eigenwilliger Film des finnischen Regisseurs. Jede Szene ist wie ein Gemälde. Die Dramaturgie der Bilder wird u.a. durch den Kontrast gespeist, dass die Geschichte zwar in die heutige Zeit eingebettet ist, doch mit Requesiten der 60er und 70er Jahre ausgestattet ist. Und es wird wenig gesprochen. Vor vielen Jahren hatte ich eine Finnin in Therapie. Sie saß kaum, als sie mir lakonisch mitteilte, wie sehr es sie nerve, dass Deutsche so viel sprechen und sich für alles rechtfertigen müssen. Wir haben oft geschwiegen, was mir gefallen hat.

In diesem Sinne will ich kein überflüssiges Wort über Fallende Blätter verlieren. Nur so viel: Es geht um eine tragikkomische Liebesgeschichte zwischen zwei proletarischen Verlieren. Die nicht mehr junge Frau ist Kind aus einer Suchtfamilie. Der Vater starb durch Alkohol, die Mutter vor Kummer. Der ebenso nicht mehr junge Mann ist ein Trinker, der nichts mehr vom Leben erwartet.

Der Film ist eine pragmatische, nicht humorlose Blaupause, wie Klarheit und Nüchternheit hilft, Unabhängigkeit zu wahren und Liebe zu ermöglichen. Beide Protagonisten sind zwar wortkarg, doch keinesfalls sprachlos. Der ruhige Erzählstrom von Kaurismäki erlaubt es dem Zuschauer, sich bevormundungsfrei eigene Gedanken über das Gesehene zu machen und den eigenen Stimmungen nachzugehen. - Eine kleine Geschichte und großes europäisches Kino!

» Filmtrailer

2023-10 | Neue Website | Hilfen im Netz

website hilfen im netz

Es gibt eine neue Online-Plattform namens Hilfen im Netz für Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener suchtkranker und psychisch kranker Eltern. Die Website ist durch die Drogenhilfe Köln e.V. in Kooperation mit NACOA Deutschland erstellt worden und führt die Online-Beratung von KidKit und NACOA zusammen. Die Zusammenführung ist ein Schritt des geplanten Ausbaus und der zugesagten Förderung von Angeboten für die Zielgruppe durch das Bundesgesundheits- und Bundesfamilienministerium.

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