Enttäuschung und Bitterkeit sind der co-abhängige Entzug.

triangle
illustration blume giessen

FAQ für Angehörige

Folgend finden Sie 14 typische Fragen von verstrickten Angehörigen und meine Versuche, die Fragen zu verstehen, ohne Ihnen vorschnelle und halbgare Antworten zu geben. Diese Entwürfe sind ausschließlich als Anregung zu verstehen, dass Sie sich selbst auf die Suche nach eigenen Antworten machen. Was für Sie gut und richtig ist, können ausschließlich Sie in Ihrer speziellen Lebenssituation herausfinden.

Ein Hinweis: Auf dieser Seite und auch sonst nutze ich die Konstrukte "die Angehörige" und "der Suchtkranke". Diese genderspezifische Begriffswahl bietet sich an, weil Angehörige, die sich in der Hilfe für Suchtkranke verstricken, überwiegend Frauen, und weil die suchtkrank Betroffenen mehrheitlich Männer sind. In Ihrem individuellen Fall kann es selbstverständlich auch umgekehrt sein. Männer können ebenfalls co-abhängige Probleme und Frauen Abhängigkeitsstörungen entwickeln.

Die Male, die mir Angehörige die Frage nach dem Warum gestellt haben, sind ungezählt. Die Frage hat jede Menge Spielarten: "Warum trinkt/kifft/spielt er?", "Warum lügt er?", "Warum klaut er?", "Warum hält er sich nicht an Abmachungen?", "Warum zerstört er sich?", "Warum ist er so rücksichtslos?", "Warum macht er alles kaputt?" etc. Vordergründig ist die Antwort naheliegend: Er verhält sich symptomatisch, also entsprechend seiner Abhängigkeitserkrankung. Doch diese Antwort wollen co-abhängige Angehörige nicht hören, weil die Frage hintergründig anders gemeint ist. Sie meinen eigentlich: "Wenn ich die Ursachen kenne, weiß ich, wie ich ihn kontrollieren und retten kann." Die falsche Hoffnung bzw. die Angst vor Kontrollverlust und Versagen motiviert die Frage und macht sie unbeantwortbar.

Eine Zeit lang habe ich Angehörige und Suchtkranke gemeinsam behandelt. Das war interessant, weil die suchtkranken Patienten den Angehörigen ihre Frage nach dem Warum gespiegelt haben: "Warum fragst du so verbohrt?", "Warum willst du unsere Sucht kontrollieren?", "Warum beschäftigst du dich mit uns und unserer Krankheit und nicht mit dir selbst und deinen Problemen?" oder "Warum willst du uns helfen, nimmst aber selbst keine Hilfe an?" Ganz spannend wurde es stets dann, wenn Angehörige und Suchtkranke gemeinsam herausfanden, dass sie sich aus ähnlichen Motiven - getrieben von denselben Ängsten, Kränkungen und Schuldgefühlen - co-abhängig bzw. süchtig verhielten. Dann entstand ein konstruktiver Dialog auf Augenhöhe. - Falls Sie als Angehörige etwas für sich entwickeln wollen, formulieren Sie bitte die Frage um, fragen Sie nicht nach ihm, sondern nach sich selbst: "Welche Angst und Sehnsucht verberge ich hinter meinem Helfen-Müssen?"

Eine weitere klassische Frage, die alle Angehörigen stellen: Was mache ich, wenn ich eine Flasche Alkohol - alternativ Drogen - in einem Versteck finde, obwohl er mir vier Wochen zuvor versprochen hat, aufzuhören? Bei verhaltensbezogenen Suchterkrankungen, kann dieselbe Frage in leicht abgewandelter Form gestellt werden.

Nach über 20 Jahren Berufserfahrung in der Arbeit mit Suchtkranken und Angehörigen, könnte ich Ihnen hier unzählige Antworten geben und keine ist richtig oder falsch. Jedoch ist die Frage als suchtzentriert einzustufen und bei Angehörigen führt sie in die Sackgasse von Verantwortungsübernahme, Kontrollillusion und Ohnmacht. Falls Sie Angehörige sind, möchte ich Ihnen meine Meinung nahe bringen, dass es seine Frage ist und es infolgedessen ganz allein seine Sache ist, nach möglichen Antworten zu suchen. Es ist seine Verantwortung, sich auf den Prozess einzulassen, die Sucht zu überwinden, oder sich auch nicht einzulassen und weiter zu konsumieren. Auch letztere Entscheidung ist zwar traurig, doch sein gutes Recht. Falls Sie ihm als Angehörige helfen wollen, ist dies nett von Ihnen. Aber es ist sein Entschluss, Ihre Hilfe anzunehmen oder auch zurückzuweisen. Und falls er Ihre Hilfe wirklich wünscht, bleibt es trotzdem seine Aufgabe, Antworten zu suchen und auszuprobieren, um seine Krankheit abzumildern und zu überwinden. Sie können seine Probleme nicht aus der Welt kehren. Das muss er in aller Konsequenz schon selbst tun.

Falls Sie Suchtmittel finden oder herausfinden, dass er rückfällig ist, möchte ich Ihnen als Angehörige die Gegenfrage stellen: Was wollen Sie tun? Was ist Ihr Interesse? Wonach ist Ihnen? Wozu haben Sie Lust? Dies ist Ihre Frage, um Ihren eigenen Prozess anzustoßen. Und es ist allein Ihre Verantwortung, ob Sie sich ihrer Bedürftigkeit stellen. Sie dürfen in der co-abhängigen Sackgasse bleiben, ihn bevormunden und ihm Antworten auf seine Frage vorgeben. Sie dürfen sich in ihrer Lebenszufriedenheit von seiner Genesung abhängig machen. Das ist nicht verboten, aber machen Sie sich nichts vor. Es bringt Sie - selbst wenn er es tatsächlich schafft, aufzuhören - keinen Schritt in Ihrem Leben weiter. Deswegen möchte ich Sie einladen, aufzuhören, mit der äußeren Realität zu kämpfen, sich Ihrer inneren Realität zu stellen und in Ruhe zu schauen, was Sie eigentlich in Ihrer verfahrenen Situation brauchen. Bitte geben Sie keine voreiligen Antworten, denn es geht darum, dass Sie die Vielschichtigkeit ihrer Ängste, Verletzlichkeit und Bedürftigkeiten erkunden. Sie werden mannigfaltige Antworten finden. Unabhängig zu leben, bedeutet, alle Antworten anzunehmen und auszuprobieren.

Ob Sie den entdeckten Alkohol im Versteck lassen, weil es zwecklos erscheint, oder ihn wegkippen, damit er ihn nicht trinken kann, ob Sie ihn sachlich zur Rede stellen, um ihn zur Vernunft zu bringen, oder ihn wütend anschreien, um ihn zu erreichen, ob Sie ihn herauswerfen oder selbst die Koffer packen, um ihn zu bestrafen. Das spielt alles keine Rolle. Wenn Sie indes den Alkohol im Versteck lassen, weil Sie sich ohnmächtig fühlen, oder ihn weggießen, weil es Sie erleichtert, oder ihn zur Rede stellen, um selbst Klarheit zu erlangen, oder ihn anschreien, weil Ihre Wut rausmuss, oder Sie ihn herauswerfen oder die Koffer packen, weil Sie Ruhe brauchen, um nachzudenken, in diesem Fall handeln Sie aus Ihrer Not und Bedürftigkeit. Gut so! Sie sind auf Ihrem Weg. Erkennen Sie den Unterschied, den ich Ihnen vermitteln möchte? Nicht die Handlung, sondern Ihre Motive, zu handeln, machen den Unterschied.

Falls Sie bemerken, dass die Frage nach ihren Bedürfnissen und Interessen Sie überfordert oder Sie sogar co-abhängig reagieren: "Ich wünsche mir doch nur, dass er aufhört", in diesem Fall benötigen Sie meines Erachtens solidarische Hilfe von anderen. Auf der Seite Hilfen finden Sie Anregungen dazu.

Es ist eine Standardfrage von verstrickten Angehörigen, wenn sie sich in einer konkreten Problemsituation, z.B. ausgelöst durch beängstigendes, manipulatives oder uneinsichtiges Verhalten des Suchtkranken, hilflos fühlen. Die Frage wird auch bei Konflikten mit Kindern, Freunden, Arbeitskollegen, dem Vorgesetzten oder Behörden gestellt. Es ist eine abhängige Frage und Ausdruck einer tiefen persönlichen Verunsicherung. Es fehlt ein abgegrenztes, eigenständiges Ich und es mangelt der Person an inneren Maßstäben, zu entscheiden und zu handeln. Sie ist nicht im Kontakt mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Werten, an denen sie sich orientieren könnte. Als Lösung ihres Mangels sucht die Person abhängig nach Antworten bei anderen und sie sucht nach absoluten Maßstäben von richtig und falsch. Das eigentliche Problem ist indes, dass die Person durch die abhängige Antwortsuche ihre Verunsicherung und Ohnmacht aufrechterhält und vertieft.

Wenn mir Klienten die Frage in der Therapie stellen, spiegele ich sie gerne in folgender Art und Weise: "Das scheint mir eine wichtige Frage zu sein. Ich möchte Sie gerne begleiten, herauszufinden, was Sie tun können oder wollen. Die Therapie darf ein sicherer Raum sein, in dem Sie Ihre Interessen erkunden können, damit Sie wieder unabhängig und handlungsfähig werden. Was brauchen Sie, damit Sie eigene Antworten finden können?"

Es gibt eine Ausnahme der Frage nach dem Sollen, die ich Ihnen anders beantworten möchte: Was soll ich tun, wenn der Suchtkranke sich übergriffig verhält? Bitte nutzen Sie in diesem Fall alle Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die Übergriffigkeit baldmöglichst zu beenden. Falls Sie sich nicht in der Lage fühlen, die Situation aus eigener Kraft zu bewältigen, suchen Sie sich geeignete Personen, die Ihnen parteiisch helfen. Falls die Übergriffigkeiten massiv sind oder der Suchtkranke sich kriminell verhält, zögern Sie bitte nicht, tatkräftige Hilfe bei Polizei, Anwalt, Jugendamt oder Frauenberatung in Anspruch zu nehmen.

Wiederholt werde ich von Angehörigen Suchtkranker aus ganz Deutschland kontaktiert, ob ich in ihrer Region einen in der Angehörigensache spezialisierten Psychotherapeuten empfehlen kann. Das kann ich natürlich nicht, möchte indes einige andere Empfehlungen geben. Falls Sie an einer ambulanten Psychotherapie interessiert sind, schauen Sie bitte in die örtlichen Adresslisten und rufen in den telefonischen Sprechstunden der Psychotherapeuten an. Aufgrund des Missverhältnisses von Therapiesuchenden und -plätzen ist es landesweit schwierig einen freien Platz zu finden. Bleiben Sie hartnäckig, rufen Sie viele Psychotherapeuten an und lassen Sie sich, falls möglich, auf die Wartelisten schreiben. Auch können Sie, falls Sie eine Suchtberatung vor Ort haben, die sich für Angehörige engagiert, dort bezüglich geeigneter Psychotherapeuten anfragen.

In den Sprechstunden und Probatoriksitzungen zu Anfang einer Therapie können Sie überprüfen, ob Sie sich von dem gewählten Behandler als Person angenommen fühlen und dieser sich auf Ihre spezielle Problematik empathisch einlassen kann. Falls möglich probieren Sie zwei Psychotherapeuten aus und wählen denjenigen, von dem Sie sich besser verstanden fühlen und der Sie in Ihrer co-abhängigen Vermeidung "durchschaut".

Noch ein Hinweis: Nach meinen Erfahrungen zögern besonders erwachsene Kinder aus Suchtfamilien manchmal viele Jahre den Schritt zum Therapeuten heraus und verlängern so ihr Leiden unnötig. Die innere Ambivalenz, die sie davon abhält, für sich selbst tätig zu werden, ist Teil des Suchttraumas. Die Psychotherapie bietet den Betroffenen einen Raum, mehr Selbstwahrnehmung, -annahme und -fürsorge zu lernen. Bitte fassen Sie sich ein Herz und überwinden Sie Ihr Zaudern! Die nachfolgend verlinkte Broschüre der Bundespsychotherapeutenkammer hilft Ihnen, sich auf den Weg zu machen.

Broschüre "Wege zur Psychotherapie" (BPtK)

Ja, das dürfen Sie und sollten Sie möglichst auch. Die Zuwendung anderer entlastet Sie. Indes möchte ich Sie ermutigen, weniger über seine Sucht zu klagen, als vielmehr Ihre Probleme, Not und Bedürftigkeit anzusprechen: "Hallo, hast Du Zeit, mir zuzuhören? - Mein Mann/meine Mutter/mein Sohn hat ein Suchtproblem. Ich bin ganz unglücklich darüber und fühle mich unsicher und allein. Auch wenn es nicht einfach ist, bitte, kannst Du mir helfen?" Falls Sie das Gespräch mit anderen suchen, geht es vorwiegend darum, dass Sie Verständnis, Solidarität, Trost und Unterstützung erfahren. Anfangs könnte es Ihnen schwerfallen, bei sich zu bleiben und die richtigen Worte zu finden. Versuchen Sie es trotzdem. Mit jedem Versuch üben Sie sich und werden sicherer und klarer.

Bevor Sie eine Person Ihres Vertrauens ansprechen, vergegenwärtigen Sie sich bitte, dass es um eine gesellschaftlich tabuisierte Thematik geht. Es könnte sein, dass ihr Gegenüber zunächst mit Erschrecken, Ungläubigkeit oder Befremden reagiert. Sind Sie bitte geduldig, es ist hilfreich, wenn Sie der anderen Person ein wenig Zeit lassen, den Schock zu überschlafen und das Offenbarte zu verstehen.

Auch kann es sein, dass die andere Person, obgleich Sie feinfühlig und geduldig waren, Ihnen nicht glaubt, Sie sogar beschimpft oder gar Ihre Anfrage ignoriert und darauf besteht, dem Suchtkranken zu helfen. Diese Reaktionen sind leider nicht selten und ein Hinweis darauf, dass die andere Person selbst - co-abhängig oder süchtig - verstrickt ist. So finden Sie heraus, dass der eine oder andere Freund Ihr Vertrauen nicht wert ist, und Sie lernen, echte Freunde von falschen zu unterscheiden. Je mehr Personen Sie ansprechen, desto größer ist die Chance, dass Sie jemanden finden, der solidarisch mit Ihnen ist. In dem Fall allerdings, dass niemand in Ihrem Umfeld bereit sein sollte, sich Ihrer anzunehmen, suchen Sie bitte professionelle Hilfe auf (» Beratung/Therapie). Gute Therapeuten sind wie ein Familien- und Freundeersatz.

Ein nebulöses, nicht versprachlichtes Tabuthema, wie Sucht es ist, löst bei Kindern ängstliche und schuldbeladene Fantasien aus. Eine altersadäquate Form zu finden, mit den Kindern über die familiären Probleme zu sprechen, entlastet diese und hilft ihnen, die Situation entsprechend ihrer emotionalen und kognitiven Fähigkeiten einzuordnen. Dabei sollten Sie den Kindern selbstverständlich stets vermitteln, dass es nicht ihr Problem ist, sie nicht schuld sind, sie traurig oder wütend sein dürfen, sie keine Rücksicht nehmen brauchen und sie ihren spielerischen, sozialen und schulischen Interessen nachgehen dürfen.

Und noch etwas ist wichtig: Die Kinder werden das Suchtthema - wie auch andere Lebensthemen - selbst ansprechen, wenn für sie der Moment richtig ist. Da den Kindern nicht die verbalen Fähigkeiten eines Erwachsenen zur Verfügung stehen, werden sie möglicherweise auf spontane, nonverbale Art und Weise kommunizieren, z.B. durch traurige oder wütende Blicke, verletztes Schweigen und Rückzug oder durch auffällige Verhaltensweisen. Als Elternteil brauchen Sie nur für die Kommunikationsversuche Ihrer Kinder offen und feinfühlig sein und dem gemeinsamen Gespräch einen angemessenen Raum geben. Ansonsten vertrauen Sie bitte der Resilienz Ihrer Kinder!

Sollten Sie sich durch die Frage überfordert fühlen, könnte es für Sie hilfreich sein, eine Suchtpräventionsstelle oder Erziehungsberatung aufzusuchen.

Diese Frage ist komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Zweifelsohne sind Kinder in ihrer Unreife besonders vulnerabel. Nach meinen klinischen Erfahrungen sind (erwachsene) Kinder aus Suchtfamilien eher von komplexer PTBS betroffen. Partner und Eltern entwickeln als Folge der Belastungen im Zusammenleben mit einem suchtkranken Partner oder Kind eher Depressionen und Burnout. Doch eine pauschale Antwort ist meines Erachtens aus viererlei Gründen nicht statthaft. Erstens muss jeder Fall individuell betrachtet und bewertet werden. Es gibt durchaus betroffene Kinder, deren Eltern trotz der Abhängigkeitserkrankung pädagogisch einen guten Job machen. Und es gibt Fälle, in denen Partner oder Eltern schlimmer Gewalt ausgesetzt sind und entsprechend psychisch erkranken.

Zweitens ist die Schnittmenge zwischen den drei Betroffenengruppen groß. Nach meiner Erfahrung hat ungefähr die Hälfte der Partner und Eltern, die eine Therapie aufsuchen, eine Kindheit in einer Suchtfamilie als biografische Belastung erlebt. Aufgrund der transgenerationalen Weitergabe macht die Frage keinen Sinn. Wir haben es mit ein und derselben Gruppe zu tun: Aus Töchtern aus Suchtfamilien werden Partnerinnen von suchtkranken Männern und aus diesen Partnerschaften entstehen süchtig und co-abhängig gefährdete Kinder (» Transmission). Drittens ist es unmöglich, das Leiden von Personen zu vergleichen. Die Not einer Person ist eine subjektive Größe. Viertens kann auch die Problemtoleranz und Resilienz individuell stark differieren. Es gibt z.B. Personen, die erhebliche Traumata erfahren haben, und diese trotz allem gut kompensieren können. Leiden kann nicht pauschal bewertet und verglichen werden, es kann nur individuell verstanden werden.

Alle substanz- und verhaltensbezogenen Abhängigkeitserkrankung sind durch dieselben Kernsymptome gekennzeichnet, z.B. durch das zwanghafte Verlangen, die Toleranzsteigerung, den Kontrollverlust und die Vernachlässigung von Interessen und Aktivitäten. Alle Abhängigkeitserkrankungen gehen mit anderen psychischen Störungen, Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen einher. In diesen Kernaspekten unterscheiden sich Suchtformen nicht.

Allerdings unterscheiden sie sich tendenziell in den schädlichen Begleit- und Folgeerscheinungen. Davon sind auch die Angehörigen betroffen. Angehörige von Spielsüchtigen leiden häufiger unter Geldmangel und Schulden, Angehörige von Heroin- und Alkoholabhängigen sind eher mit körperlichen Auswirkungen und Notzuständen der Suchtkranken konfrontiert, Angehörige von Kiffern müssen die Bequemlichkeit von Kiffern kompensieren und Angehörige von Amphetamin- und Alkoholabhängigen sind überdurchschnittlich häufig Opfer von Feindseligkeiten und Gewalt. Doch sind dies statistische Unterschiede, die keine Aussagekraft für den konkreten Einzelfall haben.

Aus einem dritten Grund möchte ich die Frage eindeutig verneinen. Die co-abhängigen Probleme der Angehörigen, gleichgültig welches Suchtmittel oder Suchtverhalten im Vordergrund steht, sind stets dieselben, z.B.:

  • chronischer Stress

  • hohe psychosomatische Erschöpfung, Burnout, Depressionen

  • eingenommen sein von dem Süchtigen und dem übermäßigen Wunsch, ihm helfen zu müssen

  • ein Übermaß an Nachsicht, ein Mangel an Abgrenzung und gesunder Aggressivität

  • zu viel Mitleid mit anderen und zu wenig Selbstmitgefühl, Selbstaufopferung und -verleugnung

  • Zielscheibe von Feindseligkeiten, Beschuldigungen und Übergriffigkeiten

  • soziale Beeinträchtigungen

Mehr dazu: » Betroffenheit

Es ist die Gretchenfrage der Angehörigen. Alle Angehörigen haben Trennungsgedanken und -impulse, aber aufgrund von Ängsten, z.B. vor Alleinsein oder Streit, und schlechtem Gewissen: "Er hat ja nur noch mich! Ich kann ihn nicht auch noch im Stich lassen", vermeiden viele die Frage. Ich möchte Ihnen zwei Antworten geben.

1. Die Frage ist falsch gestellt und ich möchte sie umformulieren: Wollen Sie sich trennen? Diese Frage zu beantworten, ist ein emotionaler Klärungsprozess, der durchaus einige Wochen oder Monate dauern kann. Also lassen Sie sich bitte Zeit und überstürzen Sie es nicht. Ich habe erwachsene Kinder aus Suchtfamilien begleitet, die entschieden haben, den Kontakt zu den Eltern aus Selbstschutz abzubrechen, und andere, die beschlossen haben, sich um ihre Eltern zu kümmern, jedoch ihre Unterstützung gesund zu begrenzen. Ebenso kenne ich Frauen, die nach 40 Jahren Ehe die Scheidung vollzogen haben und damit zufrieden waren. Andere sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie sich nach 40 Jahren trotz aller Probleme nicht mehr trennen wollen. Es gibt Eltern, die die suchtkranken Kinder herauswerfen und andere, die sie wieder aufnehmen. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es bekanntlich unzählige Grautöne. Jeder hat das Recht, eine eigene Entscheidung zu treffen. Wichtig ist nur, dass Sie sich auf den Weg machen, es für sich zu klären.

2. Co-abhängige Probleme können Sie durch eine äußere Trennung nicht lösen. Falls Sie sich verstrickt haben und es überwinden wollen, geht es darum, dass Sie emotionale Dinge, die sich verwirrt und verknotet haben, entwirren und klären und so wieder Eigenständigkeit entwickeln - und zwar gleichgültig davon, ob sie in der Beziehung bleiben oder sie beenden. Dies bedeutet zunächst, dass Sie sich von den selbstsüchtigen Manipulationen des Suchtkranken, aber auch von den Erwartungen anderer Personen abgrenzen, um wieder persönliche Freiräume zu gewinnen, Ihre Bedürfnisse und Interessen wahrzunehmen und zu erkunden und Ihr Leben in die Hand zu nehmen - und zwar unabhängig davon, ob es den anderen gefällt oder nicht.

Abhängige Beziehungen sind durch ein diffuses Wir gekennzeichnet. Es geht deswegen darum, dass Sie sich wieder als eine eigenständige Person und ihn und auch andere Personen als ein abgegrenztes Gegenüber wahrnehmen. Fragen Sie sich und machen Sie sich bewusst, was Ihre oder seine Verantwortung ist, was Ihre oder seine Aufgabe ist, was Ihr oder sein Problem ist, was Ihre oder seine Entscheidung ist, was Ihre oder seine Handlung ist, was Ihr oder sein Wort ist, was Ihre oder seine Sichtweise ist, was Ihr oder sein Gefühl ist, was Ihr oder sein Wunsch ist, was Ihr oder sein Bedürfnis ist usw. Lernen Sie, Mein und Dein zu unterscheiden.

Schließlich können Sie lernen, sich von ihren überfordernden Selbstansprüchen zu distanzieren, die Grenzen ihrer Belastbarkeit, für andere da zu sein, besser zu beachten und besser mit Ihren Kräften zu haushalten. Beispielsweise könnten Sie aufhören, ihm hinterher zu räumen und ihn auf der Arbeit zu entschuldigen, wenn er zu viel getrunken hat, oder anderweitig zu lügen, damit niemand etwas mitbekommt. Oder Sie könnten die Frage Ihres Vorgesetzten verneinen, ob Sie (zum wiederholten Male) kurzfristig einspringen können, weil jemand anderes ausgefallen ist. Oder Sie könnten sich für zwei Wochen krankmelden oder ein Wochenende an der See verbringen. Die Möglichkeiten, sich Freiräume nur für sich selbst zu schaffen, sind unendlich.

Ein solcher Klärungsprozess ist eine schwierige Gratwanderung. Deswegen holen Sie sich bei Familienmitgliedern oder Freunden Unterstützung. Und falls dies nicht ausreicht oder es Ihnen an solidarischen Kontakten mangelt, suchen Sie sich bitte einen Therapeuten (» Hilfe).

Die Frage ist eine emotionale Sackgasse, in der sich viele Angehörige depressiv grübelnd verlieren. Dass suchtkranke Eltern häufig ihre Kinder beschämen und ihnen einreden, dass sie Schuld sind, ist als emotionale Übergriffigkeit zu bewerten. Es ist typisches Täter-Verhalten, das Opfer zu beschuldigen, um die eigenen Schamgefühle abzuwehren und dem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Es stellt die Logik auf den Kopf. Kinder können nicht Schuld am Fehlverhalten Ihrer Eltern sein.

Womöglich haben Sie sich auch als Partner nicht immer richtig oder günstig verhalten. Dies ist wahrscheinlich, weil das zerrissene und manipulative Verhalten von uneinsichtigen Suchtkranken das soziale Umfeld oftmals überfordert. Oder vielleicht waren Sie sogar keine guten Eltern für Ihr Kind. Ihr Kind hat in der Jugend Alkohol oder Drogen missbraucht, um den Frust über das Elternhaus zu betäuben. Das ist normales Verhalten in der Jugend. Aber in die Sucht abzurutschen, ist ein zumeist jahrelanger Prozess. Anfangs kann jeder noch aufhören, doch trotz der negativen Folgen entscheiden sie, weiterzumachen. Verantwortlich dafür, sich in den Teufelskreis von Konsum und Beschaffung zu begeben, die eigene Krankheit zu verleugnen und keine Hilfe anzunehmen, sind allein die Betroffenen.

Hingegen sind Sie verantwortlich für sich, Ihr Leben und Ihr Entscheiden und Handeln. Bitte fragen Sie sich stattdessen: Wie wollen Sie Ihrer Eigenverantwortung gerecht werden? Was wollen Sie aus Ihrem Leben machen? Was sind Ihre Ziele, Interessen und Werte, die Sie leben wollen? Welche Träume und Sehnsucht haben Sie, die Sie gerne verwirklichen würden? Was gehört für Sie zu einem erfüllten und zufriedenstellenden Leben?

Eine Spielart dieser Frage lautet auch: Er hat aufgehört. Wie kann ich ihn unterstützen, dass er nicht rückfällig wird?

Bitte nehmen Sie von dieser Frage Abstand, sie zäumt das Pferd von hinten auf. Falls er aufhören will oder aufgehört hat, zu konsumieren, ist das zu würdigen, doch es ist sein Ding. Es ist seine Verantwortung und Aufgabe, zu klären, welche Hilfe er benötigt, ob er von Ihnen Unterstützung wünscht und diesen Wunsch als Bitte Ihnen gegenüber angemessen zu formulieren. Erst dann, wenn er freundlich auf Sie zu getreten ist, können Sie in Ruhe klären, ob Sie bereit sowie in der Lage sind, seine Bitte zu erfüllen. Eine Bitte darf gewährt oder abgelehnt werden, ohne dass man die Antwort erklären muss. Außerdem sollten Sie sich gründlich überlegen, was Ihre Bedingungen sind. Eine Beziehung besteht aus Geben und Nehmen und Hilfe ist eine Leistung. Eine Hilfeleistung ist nicht umsonst. Bitte überlegen Sie sich einen angemessenen "Preis". Noch ein Tipp: Suchtkranke sind keine besonders verlässlichen Vertragspartner, also sollten Sie auf "Vorkasse" bestehen. Bevor Sie zur Tat schreiten, sollte er seinen Teil der Absprache erfüllt haben.

Die Frage hat folgende Alternativen: Ich habe mich doch getrennt/Ich habe doch keinen Kontakt mehr/Er ist doch gestorben. Warum bin ich seitdem depressiv? - Vor kurzem erschien eine 30-jährige Frau in meiner Sprechstunde. Sie ist ein Kind aus einer Suchtfamilie, hat sich schon vor längerer Zeit von ihren suchtkranken Eltern distanziert und vor einem Jahr von ihrem drogensüchtigen Partner getrennt. Sie erzählte seitdem depressiv zu sein und es nicht zu verstehen: "Es muss mir doch besser gehen, jetzt wo ich es hinter mir habe, aber es wird nicht besser", erläuterte sie. Ihre Verwirrung ist eine Konsequenz aus dem verqueren co-abhängigen Denken: "Wenn er aufhört, wird alles gut." Demselben Glauben hängen auch viele Sucht- und Psychotherapeuten an: "Trennen sie sich und alle Ihre Probleme sind gelöst." Dieses Denken ist dysfunktional und widerspricht dem menschlichen Gefühlsleben.

Die junge Klientin hat sich, wie viele Angehörige, mehrere Jahrzehnte um Eltern und Partner gekümmert. Die durch Angst und Schuld motivierte Sorge um andere hat ihrem Leben Inhalt, Berechtigung und Sinn gegeben. Durch die Trennung war sie auf sich selbst zurückgeworfen und in sich fand sie nur Leere. Die innere Leere ist durch die co-abhängigen Erlebens- und Verhaltensmuster der Selbstverleugnung, -ablehnung, -vernachlässigung und -aufopferung bedingt. Die Klientin hat nie gelernt, sich um sich selbst zu sorgen, die Wunden zu lecken, sich zu trösten, das Leben nach Lust und Laune zu genießen und sich auf ihre eigene Art und Weise zu verwirklichen. Sie fiel folgerichtig in ein depressives Loch. Und da ihr soziales Umfeld beinah ausschließlich aus (Suchtmittel missbrauchenden) Personen bestand, die es gewohnt waren, dass sie gab und nicht nahm, war auch niemand für sie da, der ihr beistand.

Die Heilungskrise danach ist notwendig und eine Chance, co-abhängiges Denken und Handeln zu überwinden, die erfahrenen Verletzungen zu lindern und Unabhängigkeit zu entwickeln. Sollte es Ihnen ähnlich wie der jungen Frau ergehen und es Ihnen ebenfalls an unterstützenden, sozialen Bezügen fehlen, suchen Sie bitte eine Psychotherapie auf.

Falls Sie sich als Frau immer wieder auf suchtkranke Partner einlassen oder Sie sich als Mann immer wieder in Beziehungen um suchtkranke Frauen kümmern, ist dies die richtige Frage. Alternativ kann die Frage auch lauten: Warum habe ich mich so sehr in einer Beziehung zu einem Suchtkranken verloren und nicht besser auf mich aufgepasst? Oder auch: Warum lasse ich mich von anderen so sehr ausnutzen?

Die Antworten liegen in Ihnen und sie sind zumeist vielschichtig. Welche falsche Hoffnung lockt Sie in die Falle, welche Angst treibt Sie in die co-abhängige Sackgasse und welche Scham- und Schuldgefühle halten Sie ab, sich abzugrenzen und zu befreien? Also lassen Sie sich Zeit, Ihre Problematik zu erkunden, und lassen Sie sich helfen. Sprechen Sie mit Familienmitgliedern, Freunden oder Arbeitskollegen darüber. Die beste Freundin oder der beste Freund haben immer eine Idee oder Vermutung. Sammeln Sie möglichst viele Antworten. Diese sind wie Puzzlestücke: Erst wenn Sie alle zusammen haben und Sie sie passend zusammenfügen entsteht ein erhellendes Bild. Falls Sie sich sehr verstrickt haben und psychisch krank sind, kann Ihnen eine Psychotherapie einen geeigneten Raum geben, sich zu erkunden und wieder Klarheit für und in sich zu finden.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber in der "falschen" Hoffnung: "Wenn er aufhört, wird alles gut!", drückt sich die gesamte Verblendung und Doppelbödigkeit einer abhängigen Beziehung aus. Sie ist ein emotional erzeugter Rauschzustand und dient der Gefühlsabwehr und Problemvermeidung. Im übertragenen Sinne ist die falsche Hoffnung, als wenn man kunterbunten Ballons zuschaut, wie sie gen blauen Himmel aufsteigen. Es macht so schön schwindelig, allerdings übersieht man die Stolpersteine auf dem Boden. Je höher die Hoffnung fliegt, desto tiefer ist der Fall der Enttäuschung und der Aufprall auf dem Boden der Realität.

Co-abhängige Abstinenz bedeutet, aufzuhören zu hoffen, die eigene Unzufriedenheit nüchtern wahrzunehmen und sich den persönlichen Problemen zuzuwenden. Ich möchte Ihnen dafür eine Alternative vorschlagen: Die "echte" Zuversicht, dass Sie Ihr Leben in die Hand nehmen und aktiv in Ihrem Sinne gestalten können, und zwar unabhängig davon, ob er aufhört oder weiter konsumiert. Die Probleme des Suchtkranken können sie nicht lösen, indes können Sie in Ihrem eigenen Leben eine Menge bewirken. Trauen Sie sich!

Hinweis: An der Entwicklung dieses FAQ half mir meine wertgeschätzte Kollegin und Mitautorin Frau J. Barth.