Ich darf loslassen und darf es unzureichend tun.

triangle
illustration meditation

Raus aus der Falle

Suchtprobleme entwickeln sich zumeist schleichend. Die Betroffenen verhalten sich zunehmend selbstsüchtig, verantwortungslos und aggressiv. Angehörige verhalten sich gewöhnlich komplementär, um die Probleme zu bewältigen und die Defizite auszugleichen, also: selbstlos, verantwortungsbewusst und freundlich. Nicht selten helfen die Angehörigen mit ihrer Unterstützung den Betroffenen erfolgreich, die Suchtprobleme zu überwinden.

Problematisch wird die Angelegenheit, wenn die Suchtbetroffenen uneinsichtig sind und die Sucht chronifiziert. In diesem Fall laufen die Hilfebemühungen der Angehörigen ins Leere. Wenn sie trotz der Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen daran festhalten, dem Suchtkranken helfen zu wollen, ihr Engagement sogar steigern, verfestigt sich mit der Zeit ein Teufelskreis aus uneinsichtigem Konsum und wirkungsloser Hilfe. Die Angehörigen sitzen in der co-abhängigen Falle fest und entwickeln selbst psychische Probleme. Die Angehörigen entwickeln starre Erlebens- und Verhaltensmuster der Verantwortungsübernahme und Selbstaufopferung. Die Suchtkranken unterliegen dem Zwang zum Konsum, die Angehörigen dem Zwang zu helfen. Das Fachwort für solche scheinbar unausweichlichen Muster heißt Schema.

Nachstehend werden Ihnen neun typische co-abhängige Schemata bzw. Fallen vorgestellt. Diese sind in Vorbereitung und während der Durchführung eines Workshops mit Eltern suchtkranker, erwachsener Söhne und Töchter in 2023 entstanden. Sie ähneln nicht zufällig den Schemata, die Flassbeck & Barth 2020 im Fachbuch "Die langen Schatten der Sucht" beschreiben. Die Muster betreffen alle Personen, die sich in der Unterstützung eines uneinsichtigen Suchtkranken verrannt haben: Kinder, Partner, Eltern, Geschwister, Freunde, Kollegen, Seelsorger, engagierte Menschen der Selbsthilfe und auch professionelle Suchthelfer.

Hilfe zur Selbsthilfe ist am besten. Ein wenig Solidarität und Beistand von Familie und Freunden oder auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe tun ebenfalls gut. Aus echten Fallen können wir uns befreien und wir können in Zukunft einen Bogen drumherum machen, doch emotionale und zwischenmenschliche Fallen können wir nicht hinter uns lassen. Die helfenden Verhaltensweisen sind im Prinzip sogar erwünscht. Doch wir können die Einseitigkeit und Zwangsläufigkeit der Muster abmildern, indem wir bewusst gegensteuern, Abstand nehmen und Dinge ausschließlich für uns tun. Es geht darum, dass Sie Ihr Gleichgewicht zwischen Hilfe für den Suchtkranken und der Selbstfürsorge wiederherstellen.

Ich möchte Ihnen im Folgenden keine Antworten geben, vielmehr Sie ermutigen und anregen, für sich aktiv zu werden und sich auszuprobieren. Es ist Ihr alleiniges Recht, eigene Antworten zu suchen, was in Ihrer Situation hilfreich ist. Gutes Gelingen dabei, Ihr Leben zurückzuerobern! Falls Sie es nicht aus eigener Kraft oder mit Hilfe nahestehender Personen schaffen, Ihr Gleichgewicht wiederzufinden, in diesem Fall können Sie eine Psychotherapie in Betracht ziehen.

Übernehmen Sie privat und beruflich oft Verantwortung? Bieten Sie sich ungefragt an, Aufgaben zu übernehmen, und können Sie nicht Nein sagen, falls Sie gefragt werden? Sind Sie diszipliniert und gewohnt, Ihre Unlust herunterzuschlucken und weiterzuarbeiten, bis alles fertig ist? Sind Sie leistungsorientiert, zielt Ihr Handeln auf Perfektionismus ab und vermeiden Sie möglichst, Fehler zu machen? Ärgern Sie sich über eigene Fehler und die von anderen? Erledigen Sie die Dinge am liebsten selbst, weil es andere Ihnen nicht recht machen können? Brauchen Sie die Bestätigung, wichtig zu sein oder gebraucht zu werden? Leiden Sie unter Rücken- oder Nackenproblemen, Verspannungskopfschmerzen oder unter kalten Händen und Füßen aufgrund von dauerhaft hoher muskulärer Anspannung? Können Sie nicht wirklich entspannen und halten Sie es nicht aus, nichts zu tun?

Raus aus der Falle!

Der Gegenentwurf liegt auf der Hand: Fünf gerade sein lassen, loslassen, Ruhe atmen und dem Müßiggang frönen. Bauen Sie bewusste Auszeiten in Ihr Leben ein: Machen Sie regelmäßig Urlaub, mindestens einen Tag in der Woche sollten Sie ganz frei machen, an jedem Tag sollten Sie ein bis zwei Stunden das Nichtstun meditieren und gönnen Sie sich jede Stunde eine fünf- bis zehnminütige Atempause. Und üben Sie bewusst, anderen die Chance zu geben, für Sie Dingen zu erledigen, z.B. "Kannst Du mir einen Kaffee machen, bitte?" Lassen Sie sich bedienen und lernen Sie, es zu genießen, so wie andere es ebenso genießen, wenn Sie für sie da sind.

Gehen Sie des Weiteren Eis essen, zur Massage, in die Sauna, zum Tanzen oder zum Yoga und lernen Sie, sich in sich wohlzufühlen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Einfach so, weil Sie es sich Wert sind. Es geht darum, das psychologische Grundbedürfnis Lustmaximierung und Unlustminimierung in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu rücken. Sie können lernen, das Leben zu feiern. Last but not least noch ein entscheidender Hinweis: Missbrauchen Sie Entspannung nicht als Optimierung Ihrer Leistungsfähigkeit. Erholung, Wohlfühlen und Genuss haben einen Selbstzweck. Die Bereitschaft, zu genießen, setzt bedingungslose Selbstannahme voraus.

Alternativ kann das Schema auch als Korsett der Vernunft bezeichnet werden. Sind Sie pragmatisch davon überzeugt, dass es zu jedem Problem eine passende Lösung gibt? Denken Sie, dass auch (zwischen-)menschliche Angelegenheiten genauso einer Lösung zugeführt werden können, wie auch Smartphone oder Autos repariert werden können? Wenden sich andere gerne an Sie, weil Sie für alles eine Antwort haben? Gehen Sie den Dingen geduldig und gründlich auf den Grund, um die richtige Handhabe zu finden? Beherrschen Sie die Kunst, wie ein Nachrichtensprecher sachlich über schlimme Dinge zu sprechen und diese zu erklären? Bleiben Sie selbst dann noch vernünftig, wenn sich andere längst aufregen? Betrachten Sie Sucht als ein Problem und versuchen Sie, den Suchtkranken zur Vernunft zu bekehren?

Raus aus der Falle!

Vorweg eine grundlegende Information: Sucht ist kein Problem, es ist eine komplexe, uneinsichtige und chronifizierte Störung und es ist ein komplexes unsoziales Verhaltensmuster, andere zu manipulieren und zu täuschen und gegenüber anderen übergriffig zu sein. Einem Suchtkranken sein süchtiges Verhalten ausreden zu wollen, weil es schädlich ist, ist genauso hilf- und sinnlos, wie sich einem durchgehenden Pferd in den Weg zu stellen, welches in einen Abgrund droht, zu fallen.

Nun zu Ihrer Problematik: Die Kunst, vernünftig zu bleiben und Probleme zu lösen, ist ein Segen und ein Fluch. Letzteres ist es, weil es ungesund ist, wenn Sie stets Ihre Gefühle herunterschlucken. In schwierigen oder sogar Notsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren, ist ein Talent, doch danach will das Erlebte emotional verdaut werden, indem Sie sich freuen, lachen, weinen, zittern, fluchen, schimpfen, stöhnen und dabei vielleicht durch andere Bestätigung und Zuwendung erfahren. Es will körperlich abgearbeitet werden, z.B. durch Entspannung, Sport, durch Schwitzen in der Sauna oder bei der Gartenarbeit. Schließlich ist es hilfreich, um Abstand zu gewinnen, sich etwas Gutes zu tun, z.B. lecker essen gehen, einen Ausflug machen, sich selbst beschenken, sich Wellness gönnen oder an die See oder in die Berge fahren.

Schließlich noch eine humanistische Leitlinie: Smartphone und Autos kann man reparieren, aber emotionale und zwischenmenschlichen Themen kann man nicht lösen, man kann ihnen nur Raum geben, damit sie sich entwickeln können. Persönliche Themen wollen nicht abgearbeitet und abgehakt werden. Es geht darum, in einen Prozess zu treten, Erfahrungen zu sammeln und reicher zu werden. Wohin Sie sich entwickeln? Dies hängt ganz von Ihren Wünschen und Neigungen ab.

Kennen Sie die Verstecke des Suchtkranken und kontrollieren Sie sie regelmäßig? Haben Sie ihn möglichst pausenlos im Auge, damit er nicht heimlich trinken kann? Telefonieren Sie hinter ihm her, um zu überprüfen, was er gerade macht? Erklären Sie ihm immer wieder, wie schädlich der Konsum von Suchtmitteln oder auch Suchtverhaltensweisen sind, um ihn zu überzeugen, aufzuhören? Geben Sie ihm und auch anderen häufig kluge, doch unerwünschte Ratschläge, damit sich er und andere richtig verhalten.

Halten Sie Unordnung nicht gut aus, räumen Sie ihm und anderen oft hinterher und versuchen Sie stets alles planvoll zu organisieren? Wollen Sie nur das Beste für alle und können Sie nicht eher zur Ruhe kommen, bis die Dinge so sind, wie Sie es sich vorstellen? Denken Sie, dass Sucht eine erklärbare Krankheit ist, die, wenn man die Ursachen weiß, behandelbar ist? Kämpfen Sie - ähnlich wie Robin Hood - oft um die Rechte des Suchtkranken und anderer benachteiligter Menschen?

Raus aus der Falle!

Schön, dass Sie um die Rechte Benachteiligter kämpfen! Auch die Kontrolle seiner Sucht gründet auf der mitmenschlichen Absicht, ihm helfen zu wollen. Doch wo bleiben Sie? Merken Sie nicht, dass es Ihre Kräfte übersteigt, die Welt zu einem besseren und gerechteren Ort zu machen. Was ist mit Ihren Bedürfnissen, Wünschen, Interessen und Träumen? Und kommen Sie mir nicht mit der Ausflucht: Wenn es ihm oder anderen gut geht, geht es mir auch gut. Tatsache ist, dass Sie zu kurz kommen. Im Gegensatz zu seiner Sucht hätten Sie bei der Verwirklichung Ihrer Bedürfnisse und Interessen eine echte Kontrolle. Sie könnten für sich aktiv werden und dahin gehen, wo Ihre Wünsche wahrscheinlich erfüllt werden.

Ein weiteres Problem, unter dem Sie leiden, ist, dass Ihre angeborenen Fähigkeiten, die eigenen Wünsche zu erspüren und diese spontan zu leben, im täglichen Kampf verloren gegangen sind. Aufhören zu kämpfen und sich erholen, ist die Voraussetzung, peu à peu wieder ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln. Wie bei den Fallen von Verantwortung und Problemlösen geht es darum, dass Sie sich selbst und Ihre Lebenslust wieder in den Fokus Ihrer Aufmerksamkeit rücken und sich in Entscheidungen und im Handeln daran orientieren.

Können Sie nicht zur Ruhe kommen? Rennen, machen und tun Sie unentwegt? Haben Sie Druck, dass alles zusammenbricht, wenn Sie sich nicht um alles kümmern und keine Lösungen parat haben? Putzen und räumen Sie auf, um sich von Ihrer Angst abzulenken? Erleben Sie Ihren Alltag wie einen Sumpf, in den Sie gefallen sind? Je mehr Sie strampeln, desto schneller gehen Sie unter, doch nicht zu strampeln, ist noch schlimmer.

Sind Sie eigentlich erschöpft und ist Ihnen vor angstgetriebenen, atemlosen Machen und Tun manchmal schwindelig, sodass Sie nicht mehr empfinden, wo oben und unten, links und rechts ist und Sie nicht mehr wissen, wer Sie sind und was Sie wollen? Sind Sie eigentlich hilflos, Schachmatt von sich selbst im eigenen Leben gesetzt, doch dürfen diese Erkenntnis nicht zulassen? Schnell zurück in das Hamsterrad!

Raus aus der Falle!

Das Gewahrwerden der Hilflosigkeit bzw. Angst ist der erste Schritt: Gleichgültig, was Sie anstellen, der Suchtkranke macht, was er will, und Sie können ihn darin nicht aufhalten. Sie können den Lauf der Dinge nicht anhalten. Was können Sie tun, wenn Sie in Bezug auf etwas ohnmächtig sind? Die Antwort ist schlicht: nichts. Sie können sich zurücklehnen, sich entspannen und lernen, Ihre Ängste auszuhalten.

Sie brauchen Ihre Angst, sie ist Ihre beste Freundin. Sie macht Sie klug, die Dinge zu akzeptieren, die Sie nicht verändern können, und die Dinge anzupacken, auf die Sie Einfluss nehmen können. Und Sie können schauen, ob es Menschen in Ihrem Leben gibt, mit denen ein unabhängiger, wechselseitiger und angstfreier Kontakt möglich ist.

Hoffen Sie, dass alles wieder gut werden wird, wenn er aufhört, zu konsumieren? Glauben Sie, dass Sucht heilbar ist, oder glauben Sie daran, dass (Ihre) Liebe Sucht heilen kann? Fallen Sie immer wieder darauf herein, wenn er Ihnen verspricht, aufzuhören? Machen Sie sich Hoffnung, wenn er einige gute Tage hatte? Denken Sie, dass seine Suchterkrankung überwunden ist, wenn er aufhört zu konsumieren? Klein- und schönreden Sie seine Sucht, z.B. dass es nur am Stress, an Depressionen oder an den falschen Freunden liege oder dass es nicht so schlimm sein kann, immerhin gehe er noch arbeiten?

Lächeln Sie, wenn andere Sie fragen, wie es Ihnen gehe, und antworten Sie stets, dass es Ihnen gutgehe, obgleich es nicht stimmt? Verstecken Sie Ihre Unzufriedenheit, Trauer und Scham hinter einer lächelnden Fassade? Beruhigen Sie sich damit, dass es anderen viel schlechter gehe als Ihnen? Sagen Sie häufig Sätze, wie z.B.: "Hoffen wir das Beste"? Werden Sie in Ihrem Zweckoptimismus wiederkehrend enttäuscht?

Raus aus der Falle!

Die falsche Hoffnung ist das Schema, welches nach meiner Erfahrung am häufigsten vorkommt. Beinah alle Angehörigen leiden darunter und es ist auch in der Suchthilfe weit verbreitet. Es liegt daran, dass der Mensch im Grunde positiv auf Dinge zugeht. Diese zuversichtliche Haltung dem Leben gegenüber möchte ich Ihnen keineswegs ausreden. Nur bei einer chronifizierten und uneinsichtigen Suchterkrankung ist es ungünstig.

Die rosarote Brille der falschen Hoffnung ist der co-abhängige Rausch. Es ist eine Vermeidungsstrategie bzw. eine Angstabwehr. Die Person schließt die Augen vor einer unangenehmen, bedrohlichen Realität. Sie hat es sich in der Sackgasse gemütlich eingerichtet, träumt von einem besseren Leben bzw. einer besseren Welt und vermeidet darüber, Konsequenzen zu ziehen.

Eine Klarstellung: Sie dürfen daran festklammern, auf ein Wunder zu hoffen, und verstehen kann ich Sie darin. Es macht kein Vergnügen, die Augen zu öffnen und sich mit den Zusammenhängen des süchtigen Siechtums und des eigenen hoffnungslosen Darin-verstrickt-Seins auseinanderzusetzen. Allerdings sind Sie in Ihrer Gutgläubigkeit den Manipulationen des Suchtkranken ausgeliefert. Wenn Sie in der Sackgasse sind, haben sie keine Chance, sich aus den Abhängigkeiten zu befreien und sich auf die Situation einzustellen.

Solange Sie an die falsche Hoffnung glauben, zerstört die Sucht des Kranken nicht nur sein Leben, sondern auch das Ihre. Sie haben die Wahl: wegschauen und sich etwas vormachen oder hinschauen, ausnüchtern und Konsequenzen ziehen. Holen Sie sich Hilfe bei Familie oder Freunden, in einer Selbsthilfegruppe oder einer Psychotherapie. Den hoffnungsvollen Selbstbetrug können Sie nicht allein überwinden.

Eine echte Zuversicht möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Sie können Ihr Leben wieder in die Hand nehmen.

Suchtkranke wehren das Versagen und das Unrecht ihres zerstörerischen und aggressiven Verhaltens ab und beschuldigen andere: "Wenn sie so zu mir ist, muss ich doch ..." Sind Sie solchen Schuldprojektionen ausgesetzt und haben Sie eine Neigung, diese zu schlucken? Schämen Sie sich vor anderen für seine Sucht und seine Eskapaden? Denken Sie, dass Sie Schuld daran haben, dass er suchtkrank ist? Leiden Sie unter starken Selbstzweifeln, Dinge falsch zu machen, und unter Schamgefühlen, unzureichend, falsch, dumm oder peinlich zu sein? Verstummen Sie oft oder ziehen Sie sich zurück, weil Sie denken, dass Sie eine Zumutung für andere sind? Glauben Sie insgeheim, dass Sie, so wie Sie wirklich sind, nicht liebenswert sind? Verstecken Sie es, wenn Sie ärgerlich sind, sind Sie übermäßig freundlich und helfen Sie anderen, um Bestätigung zu erfahren, gut zu sein?

Raus aus der Falle!

Selbstzweifel oder Schamgefühle sind im Grunde etwas Menschliches und Schönes. Problematisch werden sie dann, wenn Sie sich dafür schämen, dass sie sich schämen, wenn die Scham vor der Scham Sie verstummen und sich zurückziehen lässt und sie damit allein bleiben. Ein Mensch, der sich schämt, hat ein großes Bedürfnis nach Zuwendung, Verständnis und Annahme. Wenn Sie nicht reden, hört Ihnen niemand zu. Nur wenn Sie es wagen und sich jemanden öffnen, haben Sie eine Chance, das zu erhalten, was Sie dringend brauchen. Und je mehr anderen Personen Sie sich in Ihrer Not anvertrauen, desto größer die Chance, dass Ihre Bedürftigkeit erkannt und solidarisch beantwortet wird.

Gleichgültig, ob Sie als Kind, als Partner oder als Eltern betroffen sind, fühlen Sie sich für den Suchtkranken zuständig und verantwortlich? Fühlen Sie sich verpflichtet, ihm zu helfen? Würden Sie alles dafür tun oder geben, um ihn zu retten? Sind Sie immer erreichbar, falls etwas passiert? Versorgen und pflegen Sie den Suchtkranken und vielleicht noch andere hilfebedürftige, kranke oder pflegebedürftige Menschen? Sind Sie vielleicht im sozialen Bereich tätig? Glauben Sie an die Nächstenliebe und brauchen Sie es, gebraucht zu werden? Sind Sie überzeugt, dass Egoismus etwas Negatives ist und Geben seliger denn Nehmen ist?

Raus aus der Falle!

Aufopfernde Neigungen sind vor allem, aber nicht nur bei Eltern suchtkranker Kinder und bei Töchtern aus Suchtfamilien zu finden. Häufig arbeiten diese auch noch in einem helfenden Beruf. Bitte machen Sie sich eins klar: Jegliches menschliches Handeln ist eigenmotiviert, also egoistisch begründet. Schon in der Bibel steht: "Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst." Nächstenliebe ohne Selbstliebe nennt man nach Schmidbauer Helfersyndrom. Der zweite Teil des biblischen Kernsatzes ist entscheidend und lehrreich. Nur dort, wo jemand sich selbst gut annehmen und versorgen kann, kann er anderen gut helfen. Egoismus bedeutet Selbstliebe. "Hilflose Helfer" benötigen selber Hilfe in Form von verständnisvoller Zuwendung und Annahme. Bei wem könnten Sie diese finden?

Diese Falle könnte alternativ als Wartesaal der Angst bezeichnet werden. Das Angstkarussell ist dem Hamsterrad der Hilflosigkeit in der zugrunde liegenden Gefühlsqualität gleich. Im Hamsterrad strampelt sich die Person ab, um die Angst abzuwehren, im Schwindel erregenden Karussell hingegen fühlen sie sich ihren Angstgedanken ausgeliefert. Es entspricht dem Konzept der erlernten Hilflosigkeit, welches einen Zustand beschreibt, in der eine Person glaubt, keine Fähigkeiten zu haben, eine unerträgliche Lebenssituation zu verändern.

Glauben Sie der Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sein? Sind Ihre Angstgedanken allgegenwärtig und ein ständiger Begleiter im Lebensalltag? Denken Sie ständig mit Grausen daran, was er jetzt wieder anstellt, und malen Sie sich aus, was als nächstes Schreckliches passieren könnte? Sind Sie dauerhaft angespannt und warten Sie auf die nächste Krise, z.B. dass er einen schlimmen Rückfall hat, er wieder Mist gebaut hat, er mal wieder notfallmäßig in die Psychiatrie eingeliefert oder von der Polizei aufgegriffen wurde? Haben Sie Angst, dass er sich oder anderen etwas antut oder er sogar suchtbedingt sterben wird?

Raus aus der Falle!

Im Prinzip sind Furchtgefühle etwas Gutes, Hilfreiches. Sie warnen uns, dass wir in Gefahr sind und für unseren Schutz bzw. unsere Sicherheit sorgen sollten. Im co-abhängigen Angstkarussell dreht sich unser Fühlen und Denken allerdings ausschließlich um den Suchtkranken, weswegen Sie die emotionale Information Ihrer Angst nicht für sich nutzen können. Sucht ist zerstörerisch, süchtiges Handeln ist selbst- und sozial schädigend. Ihre Angst sagt Ihnen, dass Sie sich in Sicherheit vor der Zerstörungswut der Sucht bringen sollten. Wann wollen Sie endlich beginnen, auf Ihre berechtigte Angst zu hören? Bringen Sie sich in Sicherheit vor den zerstörerischen Auswirkungen seiner Sucht.

Wann wollen Sie erkennen, dass Sie mit der Situation überfordert sind? Holen Sie sich Hilfe. Rufen Sie die Polizei, wenn er aggressiv und übergriffig ist. Rufen Sie den Notarzt an oder schalten Sie den Sozialpsychiatrischen Dienst oder den Krisendienst ein, wenn er sich suizidal äußert oder selbstgefährdend verhält. Lassen Sie sich durch eine Suchtberatungsstelle oder den Sozialpsychiatrischen Dienst darüber beraten, wie Sie in Krisensituationen handeln und welche Dienste Sie in Anspruch nehmen können.

Distanzieren Sie sich ausreichend vom Suchtkranken und halten Sie Abstand. Werfen Sie ihn heraus, ziehen Sie weg oder kommen Sie mindestens vorübergehend bei einer Freundin oder einem Freund unter. Und schalten Sie nachts das Telefon aus, damit Sie nicht erreichbar sind und wieder schlafen können. Blockieren Sie seine Telefonnummer oder blocken Sie ihn in den sozialen Medien. Und warnen Sie gegebenenfalls andere vor seinen süchtigen Manipulationen und Übergriffigkeiten.

Das Karussell der Angst kann in der Falle der Verzweiflung münden. Können Sie nicht mehr schlafen, weil ihre Gedanken in endlosen Grübelschleifen rotieren? Haben Sie Ihre Lebensfreude verloren? Fühlen Sie sich wie eine leere Hülle, die zwar äußerlich funktioniert, innerlich aber nicht beteiligt ist? Oder fühlt es sich wie gelähmt an, sodass Ihnen selbst die Bewältigung des Alltags schwerfällt? Rechnen Sie immer mit dem Schlimmsten? Denken Sie, dass Ihr Leben auf einen unausweichlichen Abgrund zusteuert und der Absturz ins Bodenlose unabwendbar ist? Zweifeln Sie an dem Sinn des Lebens und sind Sie des Lebens überdrüssig? Haben Sie sich und Ihr Leben mehr oder weniger aufgegeben?

Raus aus der Falle!

Die Anregungen aus dem vorhergehenden Abschnitt, sich vor den Unbilden der Sucht zu schützen und möglichst großen Abstand vom Suchtkranken zu nehmen, gelten für Sie ebenfalls. Diagnostisch kann der seelische Zustand, im schwarzen Loch zu hocken, als depressiv eingeordnet werden. Depressionen sind kein Zustand, welchen Sie schicksalsergeben hinnehmen müssen. Es geht darum, dass Sie aus dem dunklen Loch herausklettern und wieder für sich aktiv werden. Bitten Sie Familie und Freunde, Ihnen dabei mit Rat und Tat beizustehen. Auch sind depressive Störungen heute gut behandelbar. Gehen Sie zu einem Arzt Ihres Vertrauens und/oder suchen Sie sich einen geeigneten Psychotherapeuten.